Das lebende Netz

 "Bela Lugosi`s not dead. You are!", betitelte eine vergessene Punk-Band mit dem Namen "Lords of Nothing" in den 80er Jahren einen Ihrer songs.

In Anlehnung an diesen Slogan sei formuliert: "Das Netz lebt, nicht Du!". Möglicherweise ist der einzelne Mensch für das "world wide web" nicht viel mehr als ein genetischer Code, eine DNS-Sequenz, ein neuronaler Impuls als Mini-Input in einen Organismus, den man am besten als intelligente Flechte beschreiben kann. Wer benutzt wen - wir das Netz, oder das Netz uns? Dienen wir nur noch als Impulsgeber eines autopoetischen, neuronalen Netzes, die zum Gesamtorganismus in ähnlichem Verhältnis stehen, wie die Escherichia Coli zum menschlichen Organismus? Dann läßt sich das Verhältnis von Mensch zu web als dasjenige eines Mikroorganismus zu seinem Wirt definieren.

So abwegig dieser Gedanke auf den ersten Blick scheint, ist er es nur deswegen, weil wir "Leben" nur zu denken bereit sind in Kategorien des Organischen und den Schritt hin zu einer anderen Definition von Leben, der sich eher an der Fähigkeit zur Reproduktion und zur Autopoeisis orientiert, noch nicht vollziehen können. Schon Giordano Bruno endete für sein Diktum "Alles lebt" auf dem Scheiterhaufen, weil die Vorstellung eines in sich lebendigen Universums, das immer lebendig war und sein wird, sich mit dem christlichen Schöpfermythos und der Anthropozentrik seiner Zeit nicht in Einklang bringen ließ. Doch auch heute sind unsere Kategorien für "Leben" sehr begrenzt und leiten sich extrem von stofflichen Analogien ab, die alle von uns so kategorisierten "Lebewesen" zu einer großen Familie machen, die die Aufnahme von Fremden ausschließt.
Einzig den Produzenten von Science-Fiktionen macht es weniger Mühe, die Trennung von "Leben" und "Anorganischem" aufzuheben. In einer der besseren Star-Trek-Folgen wird im Rahmen eines juristischen Kammerspieles der ontologische Status des Androiden Lt. Commander Dater eindeutig zu dessen Gunsten geklärt: Dater ist nicht als Besitz der Sternenflotte, sondern als lebendiges, autonomes Wesen anzusehen. In dieser Folge wird das Bestreben der Sternenflotte, Dater als Besitz zu reklamieren, entlarvt als lebensverachtender Opportunismus - ist Dater nicht lebendig, kann er folglich als Besitz deklariert und gegen seinen Willen reproduziert, manipuliert und instrumentalisiert werden. Nicht von ungefähr ist es Whoopi Goldberg, die Cpt. Picard auf die Ähnlichkeit der Argumentation der Sklavenhalter und der Sternenflotte hinweist: um die Herrschaft über Wesen zu legitimieren, spricht man Ihnen schlicht ab, mehr zu sein als ein Ding, eine Sache. Es ist ohne weiteres möglich, selbst Menschen zu reduzieren auf Sächliches. Bezeichnet man etwa Opfer eines Bombenangriffes als "Kollateralschäden", drückt man damit nur aus, daß die Betroffenen schon vorher nur eine Sache waren, aber keine Lebewesen.

Nun wird es in der betreffenden Folge dem Betrachter leicht gemacht, Dater als Lebewesen zu akzeptieren, weil er geradezu allzumenschlich ist. Kniffliger wird es, wenn wir es mit einem Wesen zu tun haben, dessen "Gestalt", Stofflichkeit und Maßstab unsere Vorstellungen von Leben so sehr sprengen, daß wir es nicht als solches zu sehen vermögen. Beim web kommt noch der Irrtum dazu, es könne als synthetisches Erzeugnis von Menschen kein Eigenleben haben. Das ist falsch: selbst der Mensch ist nur ein Erzeugnis des Menschen, der durch Input eines Senders (Informationen) für einen Empfänger (Receiver) entsteht. An der Entmythologisierung des Geburtsvorganges und der Transformation des Menschen zu einem bewußt und gezielt seitens seiner unmittelbaren Antecedenten (und nicht aufgrund der ewigen Gesetze der klassischen Evolution) programmierten software-Komplex arbeiten wir kräftig, ebenso wie an einer zunehmenden Interpenetration organischer und anorganischer Materie in einem Lebewesen: Klonung und Genommanipulation, forciert als Reaktion der Wissenschaft auf eine beschleunigte Arbeits- und Lebenswelt, der die "natürlichen" Reproduktions- und Anpassungsmechanismen zu langsam sind.

Wir sind auf dem besten Wege, an uns selbst den Beweis zu vollziehen, daß der Mensch und das Leben insgesamt nicht von der Form, der Stofflichkeit und vom Maßstab her gedacht werden müssen. Daß wir noch nicht akzeptieren, daß das "web" lebt hängt nur damit zusammen, daß wir es als unsere Konstruktion ohne Eigendynamik betrachten und daß wohl auch eine Bakterie - wäre sie intelligenzbegabt, was wir ohne triftigen Grund als nicht gegeben voraussetzen - wohl nicht in der Lage wäre, Ihren Wirt als ein autonomes Wesen zu erkennen. Symbionten fällt es wohl generell schwer, den anderen in Unabhängigkeit von sich selbst zu denken. Trotz Matturanas Betrachtungen, die durchaus eine "Internet-Biologie" ermöglichen würden, ist es uns in unserer engstirnigen Zentriertheit der Wahrnehmung auf unsergleichen kaum möglich, uns selbst als Bestandteil zu betrachten - Luhmann ist näher an Bruno, als er selbst gewußt hat; und im Internet lebt Luhmann als Komplex von Fermenten fort. Könnten wir uns selbst vorurteilsfrei betrachten, wüßten wir längst, das das Netz sich zwar unserem Zugang nicht verschließt, weil es ihn als input begrüßt, aber unserem Zugriff, weil es autonom ist, verweigert.

Daß das Netz ohne unsere Eingaben nicht wäre, ist kein Gegenargument - auch wir wären ohne die uns bevölkernden Zellen, ohne uns bevölkernde Organismen nicht lebensfähig, was uns nicht daran hindert, uns ein "Eigenleben" zu unterstellen. Zurecht, nur daß wir äußerst selten den Schritt wagen, uns nicht nur als Einzel(l)leben, sondern auch als "Leben von Leben" und als "Leben im Leben" zu betrachten. Wir sind Wirt von Mikroorganismen und reichlich parasitäres Element des Ökosystems, das uns bewirtet.

Ohne jetzt in philosophische Betrachtungen dahingehend abdriften zu wollen, ob cartesianisch geprägte Kulturen fähig sind, Netzwerke und Systeme als lebendig und eigenwillig anzuerkennen: dies scheint vor allem ein Kommunikationsproblem zu sein - Netzwerke und Systeme tendieren dazu, keinerlei Debatten als Ganzes mit Ihren einzelnen Bestandteilen, sowie Ihren Symbionten und Parasiten zu führen. Sie äußern sich auch nicht in dem Sinne, daß sie innerhalb eines Phasenraumes in ihrem Verhalten beobachtet werden können. Jeder Mikrobe und jedem Bazillus sprechen wir "Leben" zu, weil beide individualisierbar und sich als Individuen verhalten. Untersuchen wir diese Individuen stellen wir fest, daß innerhalb des Umrisses, der die Kontur des Körpers gegen den Hintergrund abgrenzt, ein Stoffwechsel vonstatten geht, der den "input" (Nahrung, Sauerstoff) zur Aufrechterhaltung der individuellen Dynamik in "Lebensenergie" transformiert.
Ohne uns zu meinen teilen sich uns Lebewesen als bewegte Individuen mit bestimmten Umrisses innerhalb eines "frames" mit: sei es ein Teleskop, ein Fernglas, ein Mikroskop, oder auch einfach nur das Blickfeld. Während es indes schon Mühe bereitet, zu erklären, ob ein Virus lebt, ob Aminosäuren leben und wenn nicht, wo denn dann die Grenzen zwischen belebt und unbelebt verlaufen, tun wir uns noch schwerer mit Netzen, Geflechten, Kollektiven deren Dimensionierungen was Maßstab und Verzweigung angeht sich ebensowenig den Bedingungen unserer Beobachtungsapparate fügen, wie sich Ihre Gesamtdynamik und ihre "Protuberanzen" plausibel interpretieren lassen, zumal wenn die Zusammenhänge der Bestandteile nicht zwingend wie bei siamesischen Zwillingen sind. Das kann historisch bedingt sein, weil mit dem Postulat des Volkskörpers" ein für allemal die Idee eines Organismus aus selbständigen Organismen diskreditiert ist, doch sie ist es nur deshalb, weil das totalitäre Prinzip in der Unterwerfung des Individuums unter die Idee eines widerum von einem Individuum gesteuerten "Volkskörper" besteht.
Es existieren jedenfalls durchaus Organismen (etwa die Staatsqualle), deren Bestandteile autonom existieren können, die sich aber bei genetischer Gleichartigkeit und differenzierten Funktionen der Individuen zu einem Gebilde zusammenschließen, das von ferne ebenso als ein lebendiges Ganzes erscheint, wie die an eine Raupe erinnernde Menschenmenge bei einem Marathonlauf. Von einem Herrschaftsprinzip im oben genannten Sinne ist eigentlich nur bei organisierten Massen zu reden, die sich in eine Ihnen von Einzelpersonen auferlegte Struktur fügen. Das Netz ist anders - es organisiert sich autopoetisch, angeregt durch die zahlreichen inputs seiner Symbionten (der user), die das Netz zur Selbstpräsentation für und zur Kommunikation mit Artgenossen nutzen und es in dieser Weise zum Wandel und Wachstum anregen. Kein totalitäres Prinzip beherrscht das Netz, es ist der Mensch, der sich in diesem neuen Biotop einrichtet als Symbiont. Das bedeutet nicht, daß das Netz nicht benutzt werden kann zur Organisation der Massen seiner Symbionten - Fusionen wie "Deutsche Bank+AOL" kündigen schon an, das Netz ganz zielgerichtet als Instrument der Herrschaft über und der Organisation der Massen zu gebrauchen. Das Netz wird sich dem voraussichtlich nicht widersetzen, weil es seinen Symbionten gegenüber insofern gleichgültig gegenübersteht, als seine Nahrung und Katalysatoren in Energie und Daten bestehen. Solange die Stromzufuhr gesichert und der Datenfluß gewährleistet bleibt, sind dem Netz die transportierten Inhalte ebenso gleichgültig, wie dem Wirt die politische Haltung seiner Mikrosymbionten.
Entsprechend anderen Lebensformen ist das Netz solange unsterblich, solange der Daten- und Informationsfluß gewährleistet wird. Im Gegensatz zu Pflanzen kann es nicht verdorren. Die Unterbrechung der Stromzufuhr und des Datenzuflusses versetzt es in den Zustand des Infirmatis (Scheintod), doch ebenso, wie verschiedene Bakterien ist es nicht tot, wenn es inaktiv ist, sondern erwacht mit neuem Input zu neuem Leben. Seine Lebenserwartung entspricht der Halbwertszeit seiner hardware-Komponenten und seiner software-Komponenten. Erstere entsprechen dem Skelett, letztere dem organischen Gewebe seiner Symbionten. Im Gegensatz zum Menschen läßt sich das Netz durch Aufspielen funktionstüchtiger software "wiederbeleben". Daß indes Lebensdauer und Sterblichkeit keine grundsätzlichen Kategorien, sondern nur häufig auftretende Symptome des Lebens sind, kann der Mensch kaum bestreiten: schließlich forscht er hartnäckig an der verbesserten Haltbarkeit des Produktes Mensch und an der Unsterblichkeit durch selbstidentische Reproduktion.

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Das Netz gehört zur Gattung der Flechte. Flechten sind extrem anpassungsfähige Lebensformen, die bei hohen und niedrigen Temperaturen überdauern. Flechten sind Symbiosen aus Pilzen und Algen, die sich gegenseitig mit Mineralien und Nährstoffen versorgen.

Zu differenzieren sind die botanische und die pathologische Form der Flechte. Die pathologische Flechte kennen wir als "Lupus" oder auch "fressende Flechte", eine Verstümmelung als Resultat von Hauttuberkulose. Die Analogie der pathologischen zur botanischen Flechte ist eine Analogie der Form halber: gemeinsam ist der Flechte als Lebensform und der Flechte als Krankheitsbild, daß sie als Fläche auf anderen Flächen (beispielsweise Stein bei der botanischen Flechte, Haut beim Krankheitsbild) expandieren und imponieren.

Die botanische Flechte reagiert sensitiv auf Umweltfaktoren: sie eignet sich als Indikator für Umweltbelastungen. In verschiedenen Städten wurden sogenannte "Flechtenkartierungen" durchgeführt, um Aussagen über die Luftqualität zu gewinnen. Vice versa wird eine Flechtenart "Landkartenflechte" (Rhizicarpon geographicum) genannt. Sie gedeiht auf silikonhaltigen Felsen der Alpengebiete.

Der lateinische Gattungsbegriff der "Landkartenflechte" verweist auf das Rhizom als Konstruktionsprinzip der Flechte. Ein Rhizom im Kontext der Botanik ist ein Wurzelsystem ohne Hauptwurzel. Das Myzel von Pilzen beispielsweise ist ein solches Rhizom. Deleuze/Guattari zufolge läßt sich das Rhizom als Strukturprinzip von Kommunikation bezeichnen, allerdings nur im Falle "gleichberechtigter Kommunikation":

"Anders als zentrierte (auch polyzentrische) Systeme mit hierarchischer Kommunikation und feststehenden Beziehungen, ist das Rhizom ein azentrisches, nicht hierarchisches und asignifikantes System ohne General"(...)"Im Unterschied zu Bäumen oder ihren Wurzeln verbindet das Rhizom einen beliebigen Punkt mit einem anderen beliebigen Punkt, wobei nicht unbedingt jede seiner Linien auf andere, gleichartige Linien verweist."(...)"Transformiert man die Deskription in eine gesellschaftliche Forderung, so ordnet sich eine telematische Gesellschaft "nicht in Form von Entitäten, sondern in Form von Dimensionen, von Konsistenzebenen, diese sind temporäre Geflechte aus Konnexionen. Die Mannigfaltigkeit wird in ihrer Gesamtheit verändert, sobald sich die Dimensionen verändern oder neue hinzukommen."

Und dann: Adieu, generative Transformationsgrammatik, mit der man uns in unseren Germanistikgrundstudien gequält hat, gequält vor allem in dem Sinne, als hier die naive Analogie zwischen Stammbaum und Sprachentstehung als Urwahrheit behauptet wurde und jeder andere Ansatz als Häresie gebrandmarkt wurde.

Die Autoren des o.a. Zitates weisen zurecht daraufhin, daß es sich beim Internet nicht um ein Rhizom handelt, es sei denn folgende Bedingungen gelten:
"Vollendet rhizomatisch wäre ein Hypertext aber erst dann, wenn eine Veränderungdes bereits vorhandenen Textes ebenfalls möglich wäre, also jeder an der Kommunikation Beteilgte an allen Kommunikationen mitschreivben könnte."

Denn:
"Ein Rhizom ist immer und vor allem durch seine Außenbeziehungen charakterisiert. Insofern müßte man die Aussage, das Internet sei ein Rhizom, dadurch ergänzen, daß es nur in der rhizomatischen Verbindung zur Außenwelt existiert. Einzubeziehen sind z.B. die sozialen Zusammenhänge, in denen das Internet steht, sowie die sozialen Beziehungen, in denen die einzelnen Benutzer mit ihrer realen Umwelt stehen."

Wozu dieser Exkurs? Er liefert uns ein Register für eine präzise Beschreibung des Netzes als Lebensform und Kommunikation als Agens dieser Lebensform. Er liefert uns auch Hinweise für eine historische Einordnung des "world wide web" als Phänomen einer von jeher schon existierenden rhizomorphen Organisation des Lebens. Hierarchien, Kausalitäten, Bäume - dies alles sind Deleuze/Gautarri zufolge Abstraktionen. Es sind Ordnungen, die unserer Wahrnehmung des Lebens entsprechen und die wir den Regelmäßigkeiten unserer Wahrnehmung folgend fraktal reproduzieren. Bäume, Gesellschaftsformen, Herrschaftsstrukturen erweisen sich bei mikro- und makroskopischer Bertrachtung widerum als rhizomorph: so wie der einzelne Mensch zwar geordnet ist hinsichtlich der Funktionen und funktionalen Einheiten, die für ihn typisch sind und den Gattungsbegriff Mensch zulassen, so setzt er sich doch zusammen aus rhizomatischen Strukturen, aus miteinander verknüpften Zellen, Gefäßen, Nervenbahnen etc. So hierarchisch Gesellschaften strukturiert zu sein scheinen, als so komplex erweisen sich ihre Beziehungs"geflechte" auf der psychologischen Ebene und widerum auf der globalpolitischen, ökonomischen, ökologischen, soziologischen, kosmologischen Ebene. Das "www" als Phänomen läßt die rhizomatische Struktur des Lebens und des Zusammenlebens zum Vorschein kommen.

Akzeptieren wir abweichend von unserem Hang zur Identifikation unsererselbst auf Basis der Wahrnehmung von Ähnlichem die rhizomatische Grundierung des Lebens, die umso verzweigter und verzwickter ist, je komplexer die beschriebene Lebensform ist, fällt es uns leichter, die Lebensform "www" zu beschreiben. Sie als "Rhizom" zu kategorisieren, greift zu kurz, sie als "Flechte" zu kategorisieren trifft es sehr viel eher. Um dies zu können, müssen wir das web als Symbiose der "user" und der soft- und hardware-Komponenten der elektrischen Medien begreifen. In Analogie an die botanische Gattung käme den Menschen die Funktion der Algen und dem Internet als Konstruktion von soft- und hardware-Komponenten die Funktion der Pilze zu, wobei die server, hosts, PCs, domains, homepages Knotenpunkte des Rhizoms sind. Die symbiontische Beziehung regelt der Datenfluß, der an der Schnittstelle der Symbionten eine permanente Transformation von mentalen Impulsen in elektrische Impulse erfährt. Schwachwechselwirkende bioelektrische Impulse (Gedanken) werden umgesetzt in mechanische Handlungen (koordinierte Bewegungsimpulse) und in geordnete elektrische Impulse transformiert. Umgekehrt werden graphisch strukturierte Informationen in strukturierte Lichtquanten (und zunehmend wieder in geordnete akkustische Sequenzen) transportiert und widerum in mentale Impulse umgesetzt. So funktioniert die Symbiose von Mensch und Internet, die die Gesamtheit des "world wide web" ausmacht.

Diese Flechte ist hochsensitiv für Umwelteinflüsse. Diese Umwelteinflüsse motivieren den Informationsfluß und prägen die Gestalten der Protuberanzen, der geordneten Informationscluster, die beim Surfen abgerufen werden. So sehr das Netz seine Erscheinungsformen verändert, so resistent ist es in seiner Fähigkeit zu überdauern.

Flechten sind hochresistent: sie sind vor allem bei großer Ausdehnung nur dann zu vernichten, wenn man ihren gesamten Lebensraum vernichtet. Die Vernichtung eines Teils führt nicht zur Vernichtung des Ganzen. Bleibt nur ein Knotenpunkt intakt, an dem user und Internet den beschriebenen Transfer aufrechterhalten können, kann die Flechte erneut expandieren, vorausgesetzt, geeignete Oberflächen stehen zur Verfügung. Genügsam ist die Flechte obendrein - sie ernährt sich (siehe Landkartenflechte) nicht vom Lebendigen, Mineralien genügen ihr. Da allerdings hinkt der eine Symbiont - der Mensch - noch hinterher. Die Genomforschung und die Medizin haben noch einiges vor sich, wollen Sie die Ernährungsgewohnheiten des Menschen so umprogrammieren, daß auch dem "human factor" Informationen, angereichert mit einigen Mineralien zur Autopoeisis genügen. Der Mensch ist innerhalb der Flechte ein überalterter Verbrennungsmotor, gegenüber seinem gnädigen Symbionten ist er rückständig, was seinen Stoffwechsel angeht. Doch die Toleranz der Symbionten ist infolge Ihrer wechselseitigen Abhängigkeit lebensnotwendig.

Aus biologischer Sicht könnte man einwenden, daß die Symbionten in der Flechte nicht ohneinander können - dies sei im "www" nicht der Fall. Dies mag zutreffen, doch haben sich auch die Symbionten der klassischen Flechte erst im Laufe der Äonen zusammengefunden und Ihre Daseinsbedingungen voneinander abhängig gemacht. Das "www" ist eine junge Flechte.

Gleichwohl ist dem Gegenargument auch historisch zu entgegnen, daß der Mensch immer schon ein Symbiont war, und sei es nur in dem Sinne, daß ein ob der Beschränkungen seines Wirtes beleidigtes Gehirn gleichwohl nicht auf seinen "carrier" verzichten kann, mindestens aber nicht auf eine künstliche Zufuhr dessen, was ansonsten der carrier heranschafft (Nährstoffe und Sauerstoff). Auf der Makroebene konnte der Mensch immer nur in Symbiose mit anderen leben, nicht nur mit Artgenossen, sondern in Ökosystemen, Soziotopen, Gesellschaften. Daß dem so ist, ist evident. Reduziert sich der Mensch auf den Status eines Parasiten seiner Umwelt, zerstört er seine Symbionten und sich selbst. Sobald ein Lebewesen seiner Umwelt zur Erhaltung und zur Reproduktion bedarf, muß es der Ausbeutung der Resourcen durch regenerative Maßnahmen begegnen, wenn es weiter existieren will. Auch die Gentechnik ändert daran nichts, sie ändert einfach nur die Verfahren der Reproduktion und Regeneration auch unter dem Druck von durch allzu hybrides Verhalten des einen Symbionten sich ändernden Verhältnissen und entstehenden Engpässen. Im übrigen: auch die Algen und die Pilze der Flechten sterben nicht sofort, wenn man sie einander entwöhnt. Sie verkürzen nur ihre Lebensdauer. Der einzelne Mensch mag in Isolation von Artgenossen resistent sein, doch enthebt ihn dies nicht der Notwendigkeit der Versorgung und des Auffüllens von Resourcen. Generell lassen sich Lebensformen immer als komplexes Beziehungs"geflecht" von Innenwelten und Umwelt beschreiben. Nicht "der Mensch lebt", sondern die Gesamtheit der Verhältnisse, in die er verflochten ist, ist das Leben. Alge und Pilz sind einander eine äußerst eng verflochtene Umwelt. Der Mensch und das Internet sind auf dem Wege (wenn auch vielleicht nicht auf dem besten Wege), füreinander zum dominanten Umweltfaktor zu werden.

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"Man kann nicht nicht kommunizieren". Watzlawicks plakatives statement beschreibt gleichwohl eine Lebensnotwendigkeit des Menschen. Dies muß nicht immer so gewesen sein. Lebensnotwendigkeiten entstehen durch veränderte Innenwelt/Umweltbeziehungen. Die Morphologie weist Wale als Abkömmlinge ehemaliger Landsäugetiere aus. So wie für Wale Wasser ein notwendiger Bestandteil Ihrer Umwelt wurde, so ist Kommunikation ein unvermeidlicher Bestandteil des menschlichen Lebens geworden. Die Anpassung der Wale an ein verändertes Innenwelt/Umweltverhältnis hat Konsequenzen für Ihre Morphologie gehabt, hat aber auch ein Kommunikationssystem hervorgebracht, das sich die exzellenten Leitungsfähigkeit des Mediums Wasser für akkustische Signale zunutzemacht, um über große Distanzen hinweg den Kontakt zu Artgenossen herzustellen. Offenbar bot das Wasser den ehemaligen Landtieren die Möglichkeit, ihre Umwelt zu erweitern und zu vertiefen, damit Ihr Nahrungsrepertoire und ihr Jagdgebiet zu vergrößern. Die Fähigkeit zur Telekommunikation (und Kommunikation zwischen Lebewesen ist immer Telekommunikation) erlaubte der Gemeinschaft der Wale, Ihre dahingehenden Aktivitäten großräumig zu koordinieren - sozusagen ein Grundmodell der Rasterfahndung.

Denkt man den Schwarm, das Rudel, die Gemeinschaft als "Lebensart", das Individuum als "Lebensform", so sichert die Kommunikation die rhizomatische Struktur des Gemeinwesens. Im Falle der Staatsqualle ist die Kommunikation der Einzelwesen reduziert, weil die enge geographische Nähe und die Stringenz der Funktionalisierung der Individuen die Notwendigkeit der Kommunikation mindert. Die Staatsqualle ist in den Differenzierungen der Funktionen der Individuen extrem stringent durchorganisiert. Dies bedingt eine identifizierbare Gestalt des Ganzen, ähnlich der eines dreidimensionalen Puzzles mit vorgegebenem Bauplan. Hier hat das Gemeinwesen eine Gestalt, die für den Fall von Angriffen oder Turbulenzen auseinanderstrebt, sich aber nach überstandener Krise entsprechend der vorgefertigten Skizze erneut zu einem Ganzen fügt. Die Vorgabe der Form und des Maßstabes senken in bezug auf dieses Gemeinwesen den Bedarf an Kommunikation. Schwarm, Rudel, Staat als Lebensart sind expansiv - sie haben die Tendenz, sich Terrain durch zentripetale Verbreitung zu erschließen. Methode der Verbreitung sind die Fortpflanzung und das Ausschwärmen, Methode der Erschließung ist die Kommunikation. Dabei ist die Kommunikation umso differenzierter und damit komplexer, desto verzweigter die Biotope werden, auf die die Ambitionen der Lebensart zielen. Ebenso gilt, daß die Form der Lebensart umso amorpher ist, desto mannigfaltiger Ihre Ambitionen sind. Umgekehrt gilt - desto umfassender die Ambitionen der Lebensart in bezug auf Verbreitung und Erschließung der Umwelt sind, desto komplexer und differenzierter die Anforderungen an die Kommunikation sind, desto umfassender wird das Repertoire der zur Verfügung stehenden Zeichen und desto stringenter und überschaubarer muß zum einen die "Grammatik" werden, die die Kommunikation regelt und desto effizienter müssen zum anderen die Medien der Kommunikation bezüglich Ihrer Reichweite, ihrer Transfergeschwindigkeit und der Konservierung der transportierten Informationen über große Distanzen sein. Je komplexer die Ansprüche an die Kommunikation sind, desto effizienter muß deren Infrastruktur sein.

Im Falle des Menschen ziehen Staaten mehr oder minder willkürliche Grenzen um Gemeinschaften, deren Differenz zu anderen Gemeinschaften als bedeutsam inszeniert wird, wo sie - zumindest genetisch -eher redundant ist. Ein latenter, auf Phänotypen bezogener Rassismus, ein offener, auf Lebensstile bezogener Nationalismus entbehren jedenfalls auf der Ebene des Menschen als kollektive Lebensform zwar jeder vernünftigen Grundlage, sind aber als globaler und regionaler Wirkungsfaktor gleichwohl von immenser Bedeutung und Tragweite. Die soziokulturellen Unterschiede der Gemein (en)wesen, bedingt durch geographisch unterschiedliche Innenwelt/Umwelt-Verhältnisse, haben unter anderem verschiedene Sprachformen, aber auch Staatsformen geschaffen, die die Verbreitung und Erschließung von Terrains mit mehr oder minder großem missionarischem Eifer ihren Konventionen gemäß gestalten wollen. Offenbar bedingt der zur Zeit noch auf den Planeten Erde begrenzte Horizont eine Konkurrenz der Gemeinwesen um begrenztes Terrain, eine Konkurrenz, die allerdings auch zwischen den Individuen der Art imposante Ausmaße annehmen kann. Die Ambitionen des Menschen beziehen sich auf das Festland, die Atmosphäre, das Wasser. Der Mensch hat sich gleichsam alle Terrains als Jagd-, Lebens- und Bewegungs- und Spielraum erschlossen. Dazu bedarf es einer diffizilen Logistik der Kommunikation, die über große Distanzen zunehmend durch das Regelwerk elektrischer Medien gewährleistet wird. Die sozialen, psychologischen, politischen Implikationen der zunehmenden Bedeutung nicht nur elektronischer Medien als Relais für den Transfer von Kommunikation hat McLuhan in "Understanding Media" prägnant beschrieben.

An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, daß elektronische Medien vor allem eine ungeheure Beschleunigung in die Prozesse der Verbreitung und Erschließung von Terrains gebracht haben, mit der die Evolution der menschlichen Körper nicht Schritt hält. Insofern wird der menschliche Organismus zum Medium eines beschleunigten, kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, der die humanoiden Organismen an die veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen einer multimedial perpetuierten Welt anpassen soll, jedenfalls in den Regionen, die bereits von der Flechte "world wide web" besiedelt sind.

"Zufälle" wie die Patentierung eines humanoiden Genoms seitens des EU sind Signale einer konsequenten eugenischen Optimierung der Ware Mensch. Die Implantatforschung und Implantatentwicklung befaßt sich zunehmend nicht mehr nur mit der mechanischen Ersetzung von Organen und der mechanischen Korrektur von Defiziten des Körpers, sie zielt auch darauf ab, die Kompatibilität des Menschen als biologische Schnittstelle zu den elektronischen Medien zu erhöhen. Unter die Haut implantierte, satellitenlesbare Strichcodes sind nur der erste Schritt zu einer sukzessiven Reduzierung der Reibungsverluste an der Schnittstelle Mensch/ elektronisches Medium. Bereits jetzt ist der gedankengelenkte Mausklick über das reine Experimentierstadium hinaus.
Ziel ist eine unmittelbare Verflechtung organischer und anorganischer neuronaler Netze, ein Netzwerkkoordination von Hirnen und elektronischer Datenverarbeitung unter völliger Aufhebung der zeitintensiven und wenig fehlerresistenten mechanischen Hand-Lungen. Dies birgt natürlich die Risiken wechselseitiger Infizierung: noch bekommen Computer keine Grippe und Menschen keinen Leonardovirus. Da aber Viren als organisch-anorganische Zwitter Vorbild dessen sind, was wir Datenverarbeitung nennen und wir zunehmend an den Gedanken gewöhnt werden, daß DNS-Sequenzen prinzipiell nichts anderes sind, als variierbare Datensequenzen, ist die erste beide Symbionten befallende Seuche im "world wide web" nicht fern.

In Robin Williams "Der 200 Jahre-Mann" entwickelt sich in nostalgischer Umkehr der tatsächlichen Tendenzen ein Android zum Menschen. Eine Allianz genetischer Forschung, Implantatforschung und Gehirnforschung zielt indes auf den Abbau weiterer Friktionsverluste, deren Konsequenz bei zunehmender Kluft einer sich exponential beschleunigenden Welt und des schildkrötenhaften Fortkommens der Evolution der Körper zu gravierend sind, als daß der Mensch von der beschleunigten Optimierung seiner Spezies lassen könnte. Das Mendeln der Natur erfolgt zu langsam und reproduziert den Menschen nicht entsprechend den Anforderungen der von ihm selbst geschaffenen Arbeits- und Lebenswelt. Die Zahl der Weltbevölkerung bedarfsgerecht zu optimieren, die Funktionen der Körper anforderungsgerecht zu gestalten, Menschen-, Pflanzen- und Tiergenome zu zentral verwalteten Datenbanken zu komprimieren, die eine jederzeitige Reproduktion von Leben gemäß der erforderlichen Stückzahl und Funktionen zulassen, beschreibt den Grenzzustand einer tachyonenschnellen Arbeits- und Lebenswelt in der Symbiose von Mensch und elektronischen Netzwerken. Mag dem einen oder anderen dies als bestechende Vision erscheinen, so ist abseits aller moralischen, ethischen, politischen oder sonstigen Einwände, die im allgemeinen nur die Emergenz längst eingeleiteter Prozesse im öffentlichen Bewußtsein verzögern, einzuwenden, daß Flechten Lebensformen mit einem extrem langsamen Wachstum sind. Ob sie bei extrem beschleunigtem Wachstum lebensfähig wären, ist ungewiss.

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Die Resistenz und Dauerhaftigkeit von Flechten resultiert aus Genügsamkeit, hoher Anpassungsfähigkeit und der rhizomatischen Koexistenz der Symbionten. Die Flechte hat kein Herz, dessen Stillstand den gesamten Organismus zerfallen läßt. Die Symbionten der Flechte führen untereinander und gegeneinander keine Kriege.

Die Symbiose von Mensch und Internet ist jedoch ohne die militaristische Komponente beider Symbionten undenkbar. Zunächst war das Internet ein Instrument des diskreten Austausches miltitärischer Informationen. Im Keim seiner Entstehung ist es bereits geprägt von Tendenzen seiner Schöpfer zur Selbstauslöschung. Es diente der Logistik und Diskretion einer Kommunikation, die die Zerstörung der globalen Umwelt unter Vernichtung jedweder Lebensform immer als Szenario mit einkalkuliert hat. Beim Zünden der ersten Atombombe wurden Befürchtungen bezüglich des Entstehens von Antimaterie und der völligen Vernichtung der Erde im Rahmen einer Risikoabwägung zurückgewiesen, die diesem Szenario eine zu geringe Wahrscheinlichkeit zuordneten, um die Zündung zu unterlassen. Eine geringe Wahrscheinlichkeit ist eine Wahrscheinlichkeit, die in diesem Falle in Kauf genommen wurde - die wiederum "zufällige" Bombardierung der chinesischen Botschaft in Jugoslawien war mit einiger Wahrscheinlichkeit Gegenstand einer Risikoabwägung, bei der die Wahrscheinlichkeit eines eskalierenden, nuklearen Konfliktes mit China gegenüber der Chance, herauszufinden, ob China bei einer Provokation ernstmacht oder lieber für die Aufnahme in die WTO ein paar Tote akzeptiert, schlicht und ergreifend weniger ins Gewicht fiel. Netzwerke globaler Überwachung (Echolon) und globaler Kommunikation (Internet) dienten strategischen Erwägungen, die immer die Faktoren Selbstvernichtung und Machtgewinn gegeneinander aufrechnen.

Das Bestreben, Terrain zu gewinnen unter Risiko der Selbstauslöschung des Gemeinwesens oder zumindest herber "Kollateralschäden" ist auch nach Beendigung des "Kalten Krieges" unverkennbar geblieben. Entscheidungen zu treffen, die ein Prozentsatz x des Gemeinwesens das Leben kosten, fällt umso leichter, desto weniger die Entscheider selbst zu diesem Prozentsatz x gehören und desto größer die allgemeine Bereitschaft zur Anerkennung der Minderwertigkeit des Menschen in seiner jetzigen Form ist.

Akzeptiert man, das angesichts der radikalen Veränderungen im Kontext der Globalisierung, der weltweiten Vernetzung, der Erosion der Souveränität der Nationalstaaten, der Machtkonzentration von Konzernen, der Virtualisierung der Lebens- und Arbeitswelt, der Verdrängung der Entscheidungsgewalt von Repräsentanten des Gemeinwesens durch Lenkungsausschüsse in den Chefetagen der Medienkonzerne der Mensch so wie er ist "von gestern" ist, so ist der beim Umweltgipfel in Rio 1992 formulierte Begriff der "nachhaltigen Entwicklung" inhaltlich definiert und korreliert mit dem, was George Bush 1991 nach Gewinn des computerspielkompatiblen Golfkrieges "Neue Weltordnung" genannt hat. Auch wenn man Bush unterstellen mag, es gehe einzig und allein um die Stammherrschaft der ausgesprochen rhizomisch konfigurierten "patchwork society" USA, impliziert der Begriff "Ordnung" in diesem Zusammenhang nicht unbedingt ein hierarchisches Gefüge und meint "Welt" mehr als die mittels Längen- und Breitengraden segmentierte Erdoberfläche. Die "Neue Weltordnung" erweist sich zunehmend auch als Dezentralisierung von Systemen, die wenigstens an ihren Absichten gemessen den Menschen, seine Bedürfnisse, sein Wesen ins Zentrum ihrer Operationen stellten. Die "NWO" färbt sich anthropo"dezent"risch ein. Passend zur Jahrtausendwende kam die Drohung der Apokalypse als "Y2K" daher, nicht etwa als Sintflut oder Erdbeben - die schieren Befürchtungen, die man mit Funktionsstörungen des Symbionten Computers verband, dessen Mikroelemente (embedded chips) bereits milliardenfach die Vehikel durchdringt, die unser Leben erleichtern, verlängern, bereichern sollen (vom Herzschrittmacher bis zur Benzinpumpe), sind ein treffliches Indiz, daß Mensch und elektronische Medien sich schon vor der steilen Karriere des Internet auf dem besten Wege zur Symbiose befunden haben. Mit dem Internet ist das Verhältnis der Symbionten erheblich interaktiver und dezentraler geworden. Nicht zuletzt durch die finanzielle Erschwinglichkeit des "Surfens" und der Kommunikation via e-mail, durch die Vereinfachung und damit Beschleunigung der kommunikativen Überwindung beliebiger, terrestrischer Distanzen, durch die unmittelbaren Rückkoppelungen von Sendern und Empfängern ohne Umweg über selektive und zensorische Sendeanstalten, die die aristokratische Kontrolle ausüben darüber, wie welche Informationen für die Massen der Rezipienten aufbereitet werden und deren Interesse an Rückkoppelung sich auf die Einschaltquote reduziert, wächst eine engmaschige Infrastruktur von Nervenbahnen, die den Transport neuronaler Quanten zwischen allen ins Netz integrierten Synapsen jederzeit zulassen.
Bislang war das Telefon das Medium der instantanen kommunikativen Vernetzung individueller Sender und Empfänger, das den höchsten Grad der Emanzipation von der Trägheit der Körper und Objekte garantierte. Sieht man die Reise zu einem Kommunikationspartner oder den Transport von Briefen als Datentransfer, dessen Geschwindigkeit durch die Trägheit der Medien des Transportes reduziert ist, so ist das Telefon ein eklatanter Fortschritt: doch das Telefon läßt nur die akkustische Kommunikation zu und ist daher ebenso defizitär, wie das Fernsehen aufgrund der selektiven Informationspolitik der Sender und den geringen Möglichkeiten instantaner Rückkoppelung elitär ist. Dies wird sich durch die Integration von Sendeangeboten ins Internet ändern. Schon jetzt bemüht sich das Fernsehen einerseits um größere Perpetuierung sozialer Strukturen, indem es das Alltägliche zum (billig zu produzierenden) Thema macht und andererseits um erweiterte Rückkoppelungsmöglichkeiten widerum durch Integration von Hotlines ins Programmangebot oder gar ins Format der Sendung. Doch schon bald werden die Sendeangebote des Sende- und Rundfunkanstalten nur eins der vielen Angebote sein, auf die die "Netizens" Zugriff haben: dank dem Urahn der instantanen, direkten Vernetzung ohne Umweg über selektive Zentren, der Telefonverkabelung, die permanenter Gegenstand von Bemühungen um eine weitere Beschleunigung des Datentransfers ist. Das Fluid des Datentransfers bleibt bis auf weiteres die Elektrizität, deren Geschwindigkeit nahe an der des Lichtes ein Fingerzeig darauf ist, wo - bis auf weiteres - der Limes der Optimierung der menschlichen Körper anzusiedeln ist. Der kontinuierliche Verbesserungsprozess des Menschen strebt die Zerlegung der gesamten Existenz des Menschen in instantan kommunizierbare Daten an.
Die "nachhaltige Entwicklung" sieht im übrigen nicht vor, die Integration in die Flechte "www" als obligat zu setzen. Symbiosen haben die Tendenz zur Gleichgültigkeit gegenüber der Anzahl Ihrer individuellen Symbionten und reduzieren den Wert des Individuums auf den eines ersetzbaren Integrals des Ganzen. So wie das menschliche Hirn sich die oneirische Betäubung durch Drogen unter in Kaufnahme der Zerstörung von Gehirnzellen erlauben kann, weil das neuronale Netz selbst großflächige Schädigungen kompensieren kann, so ist auch die Flechte nicht zimperlich was den Verlust von Symbionten angeht, im Gegenteil. Das exponentiale Wachstum der Flechte "www" soll exklusiv bleiben. Zwar trifft es zu, daß Kommunikation als Verfahren der beschleunigten und effektiven Erschließung von Terrains durch ein Gemeinwesen anzusehen ist, doch ist zugleich die beschleunigte Kommunikation selbst eine Waffe, die der Ausgrenzung und Eliminierung von Konkurrenten aus den eigenen Reihen entspricht. Da das Bestreben nach Erschließung von Terrains durch Vergrößerung der Reichweite eben nicht nur charakteristisch für Gemeinwesen ist, sondern auch für die Individuen kommt es auf begrenztem Terrain zu Konflikten um die Zugangsprivilegien, die zwischen Gleich- und Andersgesinnten ausgetragen werden, aber auch zwischen Gleichgesinnten um Dominanz innerhalb des besetzten Sektors. Auch die Ähnlichkeit der Interessen und Ambitionen bildet nur die Voraussetzung für Allianzen gegen andere. Diese Allianzen sind instabil wie die Globalpolitik trefflich zeigt. Daß die Erde noch nicht unter den Richtungs- und Territorial- und Dominanzstreitigkeiten unterschiedlicher Gemeinwesen, Interessengruppen, Parteien etc. zerrissen wurde liegt nur an einem jederzeit gefährdeten Minimalkonsens, der auf die Vermeidung von Pyrrhussiegen hinausläuft, während jeder hartnäckig weiter daran arbeitet, Voraussetzungen zu schaffen, um das Verhältnis von Siegchancen und Risiken der Selbstvernichtung zugunsten der Siegchancen zu verbessern.

Das enorme Entwicklungsgefälle zwischen hochindustrialisierten Ländern und Entwicklungsländern, das enorme soziale Gefälle innerhalb der hochentwickelten Industrieländer und noch extremer innerhalb der armen Länder, wäre durch kollektive Anstrengungen möglicherweise zu vermeiden. Dies steht indes im Widerspruch zum Streben der Flechte nach beschleunigter Erschließung von Territorien durch eine beschleunigte, mannigfaltige und komplexe Kommunikation, die mit zunehmenden Komplexitätsgrad immer einfacher regelbar sein soll, um die Beschleunigung aufrechterhalten oder gar steigern zu können. Die Einfachheit des Regelwerks erhöht den Grad der Rückkoppelung.

Stellt man sich die Flechte "www" als ein Organ vor, so handelt es sich um ein fein verästeltes Nervengeflecht, dessen Synapsen alle miteinander kreuzverbunden sind. Die Synapsen regen sich gegenseitig zu Rückkoppelungen an. Ähnlich funktioniert das Gehirn. Dem Einwand, dieses Netz könne anders als ein Gehirn konstant wachsen, ist zu widersprechen. Jedenfalls zur Zeit ist der Globus die geographische Grenze des Wachstums, so wie die Schädelinnenwände vom encephalos als räumliche Grenze zu akzeptieren sind. Die flächenmäßige Ausbreitung der Flechte www ist in diesem Zusammenhang auch gar nicht von Interesse, denn - ebenso, wie für das Hirn - sind die zu erschließenden Terrains längst nicht mehr aufgrund ihrer räumlichen Ausdehnung interessant. "Solutions for a small planet" können nicht in der Ausdehnung der planetaren Oberfläche bestehen, sondern nur in einer zunehmenden Durchdringung der Welt, die eben nicht mit der Ausdehnung des Globus zu verwechseln ist.

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Wäre das grenzenlose geographische Wachstum der Flechte www im Interesse der Gesamtheit der humanoiden Symbionten, wären alle Anstrengungen auf die numerische Aufstockung der user gerichtet und es müßte ein dringendes Interesse an einer globalen Vernetzung aller Menschen bestehen. Die sozialen Differenzen müßten zumindest in dem Sinne reduziert werden, daß die Lebensumstände aller jeden Symbionten in die Lage versetzen, seinen kommunikativen Beitrag innerhalb der Symbiose Mensch-elektronische Medien zu leisten. Dies ist erkennbar nicht der Fall. Auf Beschleunigung ausgerichtete Projekte halten die zu transportierende Masse gering, benötigen indes für den Anschub erhebliche Mengen an in Schubkraft umzusetzenden Treibstoff. Der Flug zum Mond als Metapher mag als grober Vergleich herhalten: die rasche Überwindung von Distanz in einer zumindest für den Menschen letalen Zone erfolgte auf dem Wege der Verbrennung der Hauptlast und der Abstoßung des größten Teils des Projektils in der Atmosphäre. Verfeinert man den Vergleich, so ist auch der erhebliche finanzielle und damit eng verknüpft der personelle Aufwand in Rechnung zu stellen, der der eigentlichen Realisierungsphase voranging. Zwischen Kennedies Rede, in der er verkündete, bis zum Ende des 6 Jahrzehntes des zwanzigsten Jahrhunderts würden Amerikaner auf dem Mond stehen und dem realen Ereignis vergingen 8 Jahre, in denen jener kleine Schritt für einen Menschen, der einen großen Schritt für die Menschheit sein sollte, vorbereitet wurde. In diesen Jahren wurde die Anteilnahme in Form öffentlicher Resonanz akkumuliert, in Form von Kapital, Einschaltquoten, Verkaufszahl von Zeitungen, Souvenirs etc., die die Anstrengung, zwei Personen auf einen toten Satelliten zu hieven, rechtfertigte. Diese durch Rückkoppelung aufgeschaukelte Resonanz erzeugte die Schwingungsstärke, die dem Projekt(il) letztlich genügend Auftrieb verlieh. Sie wurde zusätzlich angereichert von der Reibungsenergie, die der Konflikt der politischen Systeme erzeugte. Zwei Amerikaner sollten auf dem Mond stehen: dies war eine Botschaft nicht für, sondern an den medial erreichbaren Teil der Welt, die wie in ähnlichen Fällen üblich den Rest der Welt ausgrenzte, und diese Ausgrenzung als zu bewundernden Pioniergeist und Heldentum deklarierte. Nicht anders im alten Ägypten oder beim Bau des Kölner Domes, der den Ruhm den Initiatoren und den Tod den Sklaven und Tagelöhnern überließ, deren Arbeitsenergie die Realisierung eines kein Problem der Allgemeinheit lindernden Konstruktes ermöglichte, das nur einem Teil der Nachwelt als touristische Attraktion wenigstens eine Steigerung des Bruttosozialproduktes ermöglichte.

Selbst wenn man ins Feld führt, welche wirtschaftlich verwertbaren spin-offs der Weltraumforschung (etwa die Teflonpfanne) der Menschheit zum Segen gerieten, ist der Begriff Menschheit in diesem Zusammenhang völlig verkehrt: sogar von der Teflonpfanne hatten nur diejenigen etwas, für die sie erschwinglich war und die durch Teflonrückstände verursachten Krebsfälle werden auf immer ungezählt bleiben.

Die Mondlandung war schon deshalb kein großer Schritt für die Menschheit, weil die in dieses Projekt investierte Aufmerksamkeit, Zeit und Geldmengen (als Surrogat von Arbeitskraft) einzig in ein punktuelles Projekt des Transportwesens flossen, indes im Sinne des Gemeinwohls besser in den Bau von Dämmen in Regionen wie Mozambique geflossen wären.

Kommunikation kam in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zu, jedoch keineswegs allein in der Funktion der Verständigung, schon gar nicht in der Funktion der Aufklärung. Die Mondlandung als eine der ersten weltumspannenden Inszenierungen im aufgrund fehlender unmittelbarer Rückkoppelungsoptionen osmotischen Medium Television diente in ihrer medialen Aufarbeitung der Mythenbildung, der Propaganda, der Verschleierung der diskreten Kommunikation der Regisseure im Hintergrund, die um die immense Bedeutung des "Wettlaufs zum Mond" als Waffe im psychologischen Krieg der Systeme wußten.

Lyotard hätte im Kontext einer zynischen postmodernen Vernunft die Eroberung des Weltraumes als Indiz eines produktiven Dissenses beschreiben können, als Musterbeispieles einer dialektisch destillierten und bahnbrechenden Quintessenz. Tatsächlich muß Kommunikation weder der Versöhnung, noch dem Konsens dienen, noch muß Sie Gutes im Schilde führen. Sie beinhaltet den Richtspruch, den finalen Dialog zum letzten Wunsch des Todeskandidaten, die Kriegserklärung. Kommunikation als Verfahren der Erweiterung von Reichweite und der Erschließung von Territorien ist im Sinne der Eroberung immer xenophob und nicht auf Verständigung aus, sondern auf Kapitulation.
Mag Sie eine Determinante der humanoiden Lebensform geworden sein, durch die Sie überhaupt definiert ist, so terminiert sie gelegentlich rücksichtlos diejenigen, die von ihr ausgeschlossen werden sollen.
Die Ambivalenz der Rückkoppelungen von Sender und Empfänger, auch die Zweifelhaftigkeit osmotischer Kommunikation ohne Rückkoppelungsoption ist auch dem Einsamen wohlbekannt. Levinas hat das Leitmotiv des Gefühls der Minderwertigkeit formuliert, wenn er das "Ich vom Anderen her" denkt, der - ein kommunikativer Akt - mich anspricht und in Frage stellt. Ich kann diesen Anderen verdrängen, bekämpfen oder akzeptieren, danach richten sich die Strategien der Kommunikation. Vernichte ich Ihn, befinde ich mich in Robinsons Dilemma. Einsam bin Ich ein Anderer und führe vernichtende, versöhnliche, verlogene, betrügerische, schlaftrunkene Selbstgespräche. Ich kann nicht nicht kommunizieren: solange ich denke, bemühe ich mich um Kommunikation, weil das Ich nicht Herr, sondern nur Mieter im eigenen Haus ist. Ich werde also in mich hineinrufen und auf Antwort warten, um endlich denjenigen zu lokalisieren und zu stellen, der mir mein Bleiberecht in mir selbst streitig macht und mich zum Asylanten meinerselbst erklärt.

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Der militaristische Aspekt der Kommunikation, der kriegerische Aspekt des Selbstgespräches ist sublim und sicher nicht exklusiv bestimmend für Kommunikation. Sogar die unbedingte Notwendigkeit der Kommunikation ist wenigstens individuell nicht gegeben, doch vormalige Notwendigkeit wird zum Bedürfnis, selbst wenn die Notwendigkeit nicht mehr unmittelbar besteht. Fettleibigkeit inmitten von Wohlstandsgesellschaften ist absurd, wäre aber für einen Winterschlaf ideal. Angstneurosen, Übersprungsreaktionen, Sublimationen sind auch Rekurs auf so nicht mehr gegebene Innenwelt-Umwelt-Verhältnisse. Dies strategisch zu nutzen sind Massenmedien ein probates Vehikel. Da das Bedürfnis nach Beschleunigung als Verfahren der Erweiterung der Erreichbarkeit und der Erschließung von Territorien auch individuell ist, der Befriedigung dieser Bedürfnisse durch physische Eigendynamik der Körper Grenzen gesetzt sind, war der Erfolg des Mediums Fernsehen vorprogrammiert.
Die Inszenierung der Mondlandung versetzte die Zuschauer in einen kollektiven Rausch erweiterter Erreichbarkeit, der Erschließung neuer Areale und schuf die Illusion der Geburt des "Weltraumbabies", das in Kubricks "2001" als Mondfötus über der Erde aufgeht. Mit jeder Fernsehübertragung wird die Illusion der instantanen Überwindung früher kaum überbrückbarer Distanzen reproduziert. Wenngleich der "Kick" nicht mehr derselbe ist, geht man doch mit dem Fernseher um, wie mit Chipstüten - man konsumiert über den Effekt der Sättigung hinaus, denn die Unterbrechung der Übertragung verengt die Wände der Räume, in denen man sich befindet, und die Türen führen nur zum Nebenzimmer.

Das Großartige der Illusion der Television besteht darin, daß der Rausch beliebiger Erreichbarkeit entfernter Territorien an die Bedingung des stationären Verbleibs geknüpft ist und faktisch eine exakte Kontrolle der Seßhaftigkeit und Vorlieben des Zuschauers ermöglicht, die im diametralen Gegensatz zum Motiv der Flucht steht, das dem Drang nach Beschleunigung und Ferne zugrundeliegt.

So primitiv es ist: weil die Television für den Betrachter eine Erweiterung bedeutet, stellt er Ihre Illusion wenigstens dann nicht mehr in Frage, wenn er eine "Liveübertragung" versprochen bekommt. Noch heute gelten diejenigen als verrückt, die meinen, bei der Übertragung der ersten Mondlandung habe man rechts oben ein Mikrofon im Bild hängen sehen (vgl. zu diesem Thema den ausgezeichneten Film "Unternehmen Caprycorn")

Von der verhaltensnormierenden und traumatischen Effizienz nicht nur elektronischer Medien sondern überhaupt abnormer Illumination abseits des Tidenhubs von Tag und Nacht (die Erweiterung der Reichweite als Illusion des Fernsehers geht einher mit der Illusion des beliebigen Wechsels der Zeit) sei hier nur am Rande die Rede. Von ihr künden diverse Anekdoten. So soll auf der Höhe des Kultes um Humphrey Bogart die Zahl der Lungenkrebsfälle drastisch zugenommen haben. Ob der Lichtblitz von Hiroshima und dessen photografischen Effekte für die spätere japanische Manie des Fotografierens verantwortlich war, wäre jedenfalls einer Überprüfung wert. Dies findet hier nur deshalb Erwähnung, weil die erzieherischen Potentiale der Medien durch die immer noch präsenten Debatten um Gewalt und Sex in den Sendungen eher verdeckt werden. Wie behutsam Filme - und hier oft Zeichentrickfilme für Kinder - das Publikum vorbereiten auf das, was ist, dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Im Spielfilm "Matrix" werden Babies geklont, deren einzige Funktion diejenige der Zulieferer von Daten für die totale elektronische Matrix ist, die die gesamte physische Existenz, das Leben und Sterben der Menschen in Holographien verlagert. Die Simpsons bereiten die jungen Betrachter auf eine nur durch den Familiensinn erträgliche korrupte, puritanische und grausame Gesellschaft vor, Pinky und der Brain sind allwöchentliche Lehrstücke in Sachen Kapitalismusanalyse, Globalisierung und "New World Order".
Cartoons dienten schon früher der sanften Gewöhnung an das was ist, oder kommen soll. Der Unterhaltungswert der "Donald Duck- Propagandafilme" im zweiten Weltkrieg trug zu einem Klima der Verharmlosung bei, in dem der Gegner verunglimpft und der Krieg zum Spaß wurde. Das Perfide und Hintersinnige bei einer als Cartoon daherkommenden Analyse der gesellschaftlichen Realität der Betrachter und deren Hintergründe besteht darin, daß mit den Witzfiguren die Betrachter gemeint sind. Ihnen wird der Rang von beliebig retuschierbaren und reproduzierbaren Zeichnungen zugewiesen, die einer Regie gehorchen, auf die sie keinen Einfluß haben. Die Betrachter lachen über sich selbst und die quakende Ente, über die sich sich amüsieren, ist Abbild der Soldaten im Krieg: zum Abschuß freigegebenes Nutztier in Formationen, ebenso heroisch wie lachhaft und dumm.

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Die Weltraumfahrt war ein erfolgloser Versuch der Erweiterung von Reichweite, zumindest vorläufig eine Sackgasse. Sie war Höhepunkt und Waterloo eines Transportwesens, das die verlockende Unendlichkeit des Raumes als kurzfristigen Horizont der Erweiterung der Reichweite und die Möglichkeiten der Erschließbarkeit des luftleeren Raumes überschätzte.
Die Erkenntnis, daß die Weitläufigkeit des Alls aufgrund der beschränkten Anpassungsmöglichkeiten des menschlichen Organismus und der begrenzten Möglichkeiten der weiteren Beschleunigung der Vehikel des Transportes dem Bedürfnis nach Beschleunigung und vergrößerter Reichweite strikte Grenzen auferlegt, war ein Schock. Der Weltraum bedeutet Stagnation, eine Verringerung der Expansionsgeschwindigkeit bei zunehmendem Drang nach Beschleunigung. Die durch den Äther rauschenden, verstümmelten Dialoge der Astronauten sind heute ein Ereignis, das keinerlei Resonanz mehr erzeugt. Die Eroberung des Weltraums ist von allenfalls nostalgischem Wert.

Der Spielfilm "Apollo 13" reduziert die Rakete, einst Inbegriff technischen Fortschrittes, zu einer Blechbüchse, deren Konstruktion im Vergleich zum neuesten Pentium-Prozessor und zur neuesten software grobschlächtig wirkt.
Der Weltraum ist jetzt ebenso kartographiert wie die Erde, ein Weltraumrecht regelt die Nutzungsrechte und Coca Cola sinniert über ein Coca Cola Emblem, das als Satellit um die Erde kreist. Interessanter als der Weltraum ist der radioaktive Müll und wann er auf die Erde stürzt. Als Um-Welt ist er interessant für Sendeanstalten, für die Überwachung von Aktivitäten auf der Erde. Er ist also nicht mehr Horizont der Erweiterung von der Erde weg, sondern nur noch in umgekehrter Blickrichtung von Bedeutung. Die "Enterprise" wollte den Weltraum erforschen und erschließen, die Voyager will zur Erde zurückkehren.

Die Blickrichtung hat sich umgekehrt und diese Introversion ist folgenreich. Sie findet Ihre Entsprechung in einer Beschleunigung, die auf die Vertiefung der Reichweite zielt, nicht auf deren Erhöhung. Vorausschauend hat Kubrick in "2001" die Astronautik auf Nautik reduziert. Sein Weltraum glich eher der stillen Tiefsee, die Vehikel Krebsen und submarinen Lebensformen. Die opake Tiefe der abgeschalteten Bildschirme ist Reminiszenz an den Weltraum ebenso wie an die lichtlosen Tiefe des Meeres und an die Pupillen der Betrachter, die schwarzes Loch hin zu einer schier unendlichen Innenwelt sind. Während die Forschung und auch die Wirtschaft die Tiefsee als Horizont einer Vertiefung der Reichweite und der Erschließung von Resourcen entdeckt, vollzieht sich endlich eine von Jung und Freud vorbereitete Erschließung der in die Tiefe hin nicht begrenzbaren Jagdgründe der kollektiven und individuellen Psyche.

Kommunikation im Zeitalter der "Flechte www" ist folgerichtig nicht mehr einfach flankierendes Verfahren der Organisation von Expansion und Beschleunigung mithilfe von Vehikeln des Transports, sondern die Expansion und Beschleunigung von Kommunikation organisiert den Prozess der Vertiefung von Reichweite ins Innere des Symbionten Mensch. Die "Flechte www" als Lebewesen ist Voraussetzung einer weiteren Beschleunigung dieses Prozesses der Vertiefung. Statt mithilfe von Kommunikation die Logistik von Transfer und Transport von Personen zu koordinieren, geht es um Vehikel, die den Transfer und Transport der Kommunikationsinhalte organisieren und beschleunigen. Folglich ist die Expansion der terrestrischen Reichweite nicht mehr das Ziel. Nicht mehr der Makrokosmos ist Medium des menschlichen Bestrebens nach Ausdehnung, der Mikrokosmos ist der Horizont der immer dichteren Komprimierung eines immer rascheren Datenflusses.
Dezentralisierung und Rhizomisierung stehen im Dienst einer rascheren und tiefergehenden Ausgrabung der Bodenschätze, die der Mensch verbirgt. Auch die expansiven Bestrebungen, die im Vorangegangenen beschrieben sind, folgten der Hoffnung eines fruchtbaren Bodens jenseits bekannter Gebiete. Dem setzte der Weltraum jedenfalls solange Grenzen, bis der Aufwand zur Überwindung immenser räumlicher Entfernung im vielversprechenden Verhältnis zum kurzfristig zu erwartenden Ertrag steht.
Unerschöpflich und in unmittelbarer Reichweite sind Informationen, deren Transport tendentiell lichtschnell erfolgt und die zudem den Vorteil haben, das der encephale Humus sie entsprechend angeregt von sich aus preisgibt. Statt den Menschen "nach außerhalb" zu transportieren, bringt man den Menschen mit erheblich weniger Aufwand außer sich und macht ihn durch diese Ausstülpung zum Zielgebiet. Rückkoppelung in Vernetzung erhöht den "output." Medium der Vernetzung ist das Internet. Der Stoffwechsel der Flechte "www" besteht aus Kommunikation und Schwachstrom. Ihre Verbreitung ist Effekt kommunikativer Rückkoppelung und Resonanz. Die materielle Substanz ist gering und recyclebar: wenn der Transport schwereloser Daten als Verfahren der Erweiterung und Vertiefung der Reichweite den Transport von Masse substituiert, sind der Extension in die Inversion und der Extension des Inversen kaum noch Grenzen gesetzt.

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Im selben Maße, indem der Symbiont Mensch die inszenierte Erweiterung in die Tiefe des Monitors als seinen "share" an der Erweiterung und Vertiefung versteht, sozusagen als seine in einem Phasenraum organisierte Extension seines zentralen Nervensystems, versteht er nicht mehr den Unterschied zwischen Inszenierung und Umwelt.

Den elektronischem Medien erleichtert dies, fragmentarischen Weltbildern den Anschein der Ganzheit zu verleihen und eine Aura von Wahrheit zu verbreiten. In der sogenannten Wissens- und Informationsgesellschaft nutzen die Medienkonzerne zunehmend Ihre gestiegene Wirkungsmacht und maßen sich die Rolle an, von der Sie meinen, sie käme Ihnen im Zeitalter der Kommunikation als primärem Werkstoff selbstverständlich zu: einer politisch-moralischen Weltmacht.
Berichterstattungen im Format des Objektiven formen die Meinungen der Subjekte. Der Spendenskandal in Deutschland war vor allem eine Inszenierung. Nüchtern betrachtet empören sich die Rezipienten über ein Verhalten, das eine moralische Entscheidung über ein rechtsstaatliches Prinzip stellt. Dies ist kein moralisches Vergehen, so wie die Medien es inszenieren, sondern ein strafbares Verhalten, dessen moralische Bewertung nur vor dem Hintergrund des Motivs vorgenommen werden könnte, das indes nicht bekannt ist.

Gerne glaubt man auch den hehren Absichten der WTO, das globale Verbot der Kinderarbeit durchzusetzen, man glaubt dem WWF sein Engagement in Sachen Umweltschutz, man glaubt, daß es sich bei Katastrophen eben um Katastrophen und weniger um Effekte der freien Marktwirtschaft handelt. Man beginnt, chief executive officeres in Konzernen als Popstars zu verehren (Deutsche Bank Chef Breuer scheint ebenso einen Brillentick zu haben, wie Elton John), man stürzt sich auf Aktien als Altersvorsorge und verkennt, daß die shareholder-Mentalität der Arbeitnehmer und Angestellten ihnen den Job unterm Hintern wegzieht, man glaubt, das steigende Aktienkurse so doll sind wie ein steigendes Barometer und schon bald werden Arbeitnehmer um die Erhöhung des Wertes ihrer Aktien willens sich zu Eigenkündigungskampagnen formieren. Dem Aktienkurs als EEG des kollektiven Unbewußten folgt im Morgenmagazin der Wetterbericht als programmatische Metapher des Volksempfindens - hoch ist immer gut, punktum. Die Hinterfragung von Motiven angesichts der Illusion, das reine Oberflächen und Projektionen eine Erweiterung, eine Vertiefung darstellen, ist nicht en voque und wird verlernt.

Ein Dritte Welt-Delegierter in Seattle brachte auf den Punkt, was Hintergrund der "social marketing"-Kampagne der WTO ist: "Wenn Sie die Kinderarbeit verbieten, nehmen Sie uns unseren einzigen Wettbewerbsvorteil." Ähnlich motiviert sind Bestrebungen zu einem globalen Naturschutz: wenn die Entwicklungsländer im Interesse eines sauberen Fells Ihrer Antilopen auf den Verzehr von Antilopenfleisch und das Betreiben von Industrie ohne unerschwingliche Filter verzichten sollen, kann man die Bevölkerung gleich verhungern lassen.

Eben darum geht es letztlich: global betrachtet ist der Mensch ein inflationäres Gut, und die Reduzierung der Menschenmassen ist via Krieg, Seuchen, Hunger ein probates Mittel der Reduzierung von redundanten Menschenmassen, die nur die Umwelt belasten, ohne etwas zum Wachstum des Daxes beizutragen. Einzige Funktion des Elendes und der "Katastrophen" ist die des Quotenbringers, des Informationspools. Dafür soll es weiter Katastrophen, Kriege, Epidemien oder auch die Todesstrafe (immer wieder ein beliebtes Thema mit hohen Quoten) geben. Die Lebensumstände der Menschheit insgesamt zu verbessern wäre ein zu aufwendiges Projekt, das Ressourcen abzieht, die in die Beschleunigung der Entwicklung der "Flechte www", der Organisation und Beschleunigung des Datenflusses, des raschen Knüpfens von Netzwerken fließen sollen.
Wie schon erwähnt ist die Flechte www eine Lebensform, deren Symbionten militärische Traditionen und kriegerische Impulse inhärent sind. Der rhizomische Charakter der Flechte ist widerum durchsetzt mit Knotenpunkten, die Herrschaftsverhältnise repräsentieren. Die Hierachien sind nicht mehr zentral organisiert in Pyramidenform sondern selbst als Server und domains dezentralisiert.
Allianzen wie die von Deutscher Bank und AOL deuten an, daß ein Kampf um die Beherrschung der Flechte www entbrannt ist. Das subversive Potential des Netzes ist den Instanzen, die Macht und Einflußsphären global erweitern wollen, zuwider.

In der Aprilausgabe der Zeitschrift "Internet World" 2000 wird eine Staatsgründung durch microsoft angekündigt; der Witz als Vorbereitung auf das Kommende oder gar das, was faktisch schon der Fall ist und nicht erst in Verträgen geregelt werden muß, wo es um Deregulierung geht, die immer nur denjenigen zugute kommt, die genügend Kraft und Einfluß haben, um ihrer Willkür Geltung zu verschaffen.
Mag die Vollendung der Symbiose nur noch Plastinate der kompletten afrikanischen Bevölkerung als museale Reminiszenz an die menschlichen Körper übriglassen, so werden in einem solchen Prozess all diejenigen, die als redundant oder nur noch als Leibenteignete zur interessengelenkten Beschleunigung des Wachstums der Flechte www beitragen unter entwürdigenden Lebensumständen zugrundegehen. Entweder ignoriert man ihre Existenz und überläßt sie dem Hunger, der reduzierten Lebenserwartung oder der Immunschwäche AIDS, oder sie werden nützliche Guinea-Pigs für Experimente mit unter die Haut implantierten ISDN-Codes, die die Erstellung genauer physischer und psychischer Bewegungsprotokolle erlauben.

Insofern erübrigt sich eine Prognose auf die Entwicklung der Arbeits und Lebenswelt - ohne den konsequenten Ausbau der subversiven Potentiale der "Flechte www", die dem lebenswürdigen Leben des Menschen im lebendigen web Vorschub leistet, wird die Perfektionierung der Flechte www als dominante Lebensform, die unentwegt Tierbilder aus um den Menschen bereinigten, gigantischen Naturschutzparks reproduziert, ein exklusiver und wenig rücksichtsvoller Prozeß sein.

Es bedarf keiner apokalyptischen Hellsichtigkeit um zu sehen, daß eine zunehmende Beschleunigúng von Veränderungen und Entscheidungen abnehmende Möglichkeiten der Mitbestimmung und Mitgestaltung der Lebens- und Arbeitswelt durch die Gesamtheit von Bevölkerungen nach sich zieht.

Akzeptiert man die weitere Entwicklung der "Flechte www" als metaphysische Zwangsläufigkeit, dann wird das Dogma der Instantangeschwindigkeit demokratische Entscheidungsprozesse, die der kollektiven Debatte und der Reflektion bedürfen, nicht mehr zulassen. Es bedarf also dringend der Entmythologisierung von Internet, New economy und B2B. Die Frage ob, wie und mit welcher Geschwindigkeit wir leben und arbeiten wollen muß Vorrang gewinnen gegenüber der Frage, wie man sich erfolgreich an gebetsmühlenartig als "zwangsläufig" deklarierte Entwicklungen anpaßt. Ob man wirklich alle Menschen mitnehmen will auf diese Reise, oder Menschen als inflationären Ballast loswerden will um besser beschleunigen zu können ist die Frage, die darüber entscheidet, ob Auschwitz noch eine Steigerung erfahren wird.